Oh, tritt, Geliebte, vor das klare Glas,
auf daß du seist. Daß zwischen dir und dir
die Spannung sich erneue und das Maß
für das, was unaussprechlich ist in ihr.

(Rilke)

 

  

Es kostet schon einige Überwindung, am Abend ein Privathaus aufzusuchen, in einer nahgelegenen Stadt zu suchen, um dann in einen Raum einzutreten mit x Unbekannten unter dem ‚Motto‘ „Lieben lernen“. Aber ... Sehnsucht war auch diesmal stärker.

Man wurde begrüßt, der Beitrag kassiert, und stand rum. Es erklang eine Musik und unvermittelt, ohne Worte der Einleitung begannen die beiden Veranstalter zu tanzen, jeder für sich. Die Musik war leise und gefiel mir und ich stellte fest, dass ich ohne jede Scheu einfach, für mich, irgendwo tanzen konnte.

Man setzte sich im Kreis, es wurde eine Geschichte zelebriert. Es wurde darin etwas gesagt über „Die Schöne und das Biest“, mancher, der hier ankomme, sei wie das „Biest“ und erst „von Hässlichkeit und Eis zu befreien“. Die Geschichte sprach dazu vom „vollständig sein“ durch den andersgeschlechtlichen andern.

Es wurde von vornherein darauf geachtet, dass die Anzahl der Frauen und Männer gleich war. Und dennoch passierte es, durch einen sogenannten Zufall, dass eine Frau mehr im Raum war. Männer und Frauen wurden einander gegenübergestellt.

Es ging darum, sein Gegenüber willkommen zu heißen. Mit Übersendung seiner Energie, Durchdringung möglichst ohne Bedrohlichsein. Mit, wer wolle, einem „Ja“ aus ganzer Person, Nähertreten und Einander-Anblicken. Ich stand so, dass ich es mit zwei Frauen zu tun hatte. Man nahm sich vorsichtig in den Arm und machte sich etwas vertraut mit der Körperstrahlung des andern. Und nach wenigen Minuten war eine überraschend deutlich fühlbare Harmonie zu dritt entstanden. 

Dann galt es, Matten auszulegen und Decken darüber zu legen. Der Rest des Abends, etwa eine Stunde, stand unter dem Leitsatz, „sich etwas vom andern wünschen zu dürfen“. Die Frau könne beginnen, sei zuerst empfangender Teil, bevor die Rollen wechselten. Wer sich im Laufe des Abends „entblättern“ wolle, könne es tun, alles sei möglich.

Es wurde sich Rücken an Rücken gelehnt, aber es geriet bald in ein Spiel der Köpfe und Haare bei Bewegungen und Kreisen des jeweiligen Kopfes, und ich hatte vergessen, wie schön dies sein kann, wenn die Beteiligten die Gedanken und das Störende an ihnen auf ein Minimum zurückfahren können. So wurde es ein völliges Loslassen in den Köpfen, ein Spüren von Kopfwärme und Haar des jeweilig andern.

Es fiel schon mal ein Satz, an dem ich hängen blieb, etwa die Frau sei das tiefere Sein des Mannes. Und dachte an Geburt.

Die Sprache der Hände; wie einander unbekannte Hände zueinander sprechen. Dazu eine sehr leise, stetig sich vertiefende Musik. Und erinnerte Rilkes Rede vom „tragenden Strom“, das war er. Es hatte sich so etwas wie ein zirkulierender Ring von Energie gebildet, drei Leben, die in dieser Weise verschmolzen. Eine dichte Energie und doch wie für tausend Fächer durchlässig. Sodass ich plötzlich dachte, das ist Leben auf Erden.

Diese Erregung der Erstmaligkeit, zum ersten Mal in den Feinstbereich der Aura eines andern einzutreten. Ohne störendes Vorwissen. Und das Wunder der Erwiderung wahrzunehmen.

Als ich nach draußen trat, wieder allein, erinnerte ich – was ich so lang nicht fühlbar erinnert hatte, es war rund dreißig Jahre her – ein wildes, zugleich überaus harmonisches Gefühl nach der Einnahme von Drogen und Berührungen mit einem Mädchen über Stunden. Ich war in diesen Momenten froh, mich hinter mich gelassen zu haben bzw. so zu sein, wie ich jetzt war.

Ich spürte dieser Art Öffnung von Tiefenschichten nach und stellte fest, dass sie ‚einen anderen Menschen‘ aus mir gemacht hatten. Besonnenheit hatte dabei eher zugenommen.

In einem solchermaßen geöffneten Raum hatte ich auch einige problematische Öffnungen vollziehen können, ohne dass es wohl weiter gestört hatte; das Mehr an Energie dadurch konnte sozusagen genutzt werden für weitere Fühlräume, die dem andern sicher nicht wehgetan hatten.

Ich betrat eine Tankstelle und diese Art Wirklichkeitskonstruktion kam mir, wenigstens in ihren Verhaltensweisen, ‚absurd‘ vor.