Als ich 16 war, begegnete ich Udo das erste Mal. Ich hatte ihn als Gitarrist von »Sidewalk« erlebt, auf einer Bühne im Stadtpark. »Sidewalk« war eine Softrockband: Schlagzeug, Synthesizer, E-Gitarre. Diesen Auftritt, das wurde mir bald klar, würde ich nicht mehr vergessen. Denn der Gitarrist hatte das absolute Feeling. Dazu mochte ich die Art der Versunkenheit in die Musik, die weniger Bedrückendes strahlte, sondern Seele, die sich immer und immer weiter entfaltete. Und zwar durch die Art, wie die Gitarre gespielt wurde. Das war 1979.

 

Ich weiß nicht mehr, wie ich erfuhr, dass Sidewalk einen Gitarristen suche. Jedenfalls war ich Feuer und Flamme, als ein Treffen mit der Band vereinbart wurde. Bei diesem Treffen erfuhr ich, dass der Gitarrist Udo Siefen heiße. Udo war beeindruckt von meinem Gitarrenspiel, weil er selbst kein klassisches Gitarrenspiel gelernt hatte, und ich war beinah traurig, dass ich ihn ersetzen solle, weil er eine Krankenpfleger-Ausbildung bei Düsseldorf beginne. Udo war 19 Jahre alt.

 

Jahre verstrichen, und es war tatsächlich so: Hörte ich einmal besonders gefühlvolles Gitarrenspiel, dachte ich zuweilen an Udo Siefen, ohne mit ihm in Kontakt zu sein.

 

2015. Ich hatte promoviert im Fach Literaturwissenschaft und mich selbstständig gemacht als Lektor. Es kam eine Zeit, in der kaum Aufträge reinkamen, da vereinbarte ich mit einem Nachhilfeinstitut, ab und zu einen Schüler zu übernehmen. Überrascht vernahm ich eines Tages den Namen Siefen. Ich hatte es kaum glauben wollen, aber es handelte sich um die Tochter von Udo. Er war, wie ich hörte, als Dozent in Enschede tätig. Und wie einst in der Musik waren wir Feuer und Flamme nun in Sachen Wissenschaft. Udo hatte eine Magisterarbeit nachzutragen (in Holland war es möglich, mit einem Bachelor-Abschluss als Dozent tätig zu sein) und eine intensive Arbeit begann – eben an seinem Magisterabschluss, den er mit 1 abschloss. Eine glückliche Fügung, dass er gerade an dieser Arbeit saß, als ich die Nachhilfe angeboten erhielt.  

 

Über sein Äußeres war ich eher erschrocken gewesen, nach all den Jahren, nicht dass es so schlecht gewesen wäre, aber ziemlich anders. Auch von seiner Musik, die er noch machte, ganz anderer Stil, hielt ich nicht mehr viel. Aber eines war unverwechselbar und weiter voll ausgeprägt: Udo war eine große Seele.

 

Als ich von seinem Tod hörte, nahm ich keine Trauer wahr. Sondern es war mir, in den nächsten Tagen, als breite sich seine Seele in mir aus. Immer weiter.

 

Jetzt, beim Scheiben des Textes, empfinde ich Trauer: Udo ist nicht mehr da.

 

Und: Noch als ich von seinem Tod hörte, war ich gefühlt irritiert darüber, dass so jemand sterben kann.