Lichthof 9: Verletzung

 

 

 

 

 

HATTE DIE WUNDE REIZE?

DER UNTERSCHIED

AGGREGATZUSTAND DER VERLETZUNG

ART DER VERLETZUNG

 

 

 

 

 

HATTE DIE WUNDE REIZE?

Bibliothek. Mittlerer Nachmittag. Wärmende Oktobersonne fiel durch die großen Scheiben im ersten Stock ein. So müde auf einmal. Bei Lektüre wohl eingeschlafen. So sonderbar klar erwacht. Einmal etwas länger in die Gesichter ringsum geschaut. Was für verbliebene Stümpfe, wohl einschließlich sich selbst, hier eigentlich saßen.

 

 

Welchen Reiz hatte es denn, in den winterlichen, unmenschlichen Frost einzugehen. Da stand nun ein Müllcontainer, Ende Oktober auf dem Gehsteig, und wurde schon angeritzt und eingefasst von Kälte. Du sahst Arbeiter dazu und Mechanismen, die etwas umbringen. Und doch war die Szene nicht ohne Reiz. Welcher war es denn?

 

 

Bestand der Reiz etwa darin, gestoppt worden zu sein

und den Kampf um sein Leben

an dieser ungeliebtesten aller Grenzen aufzunehmen?

 

 

Müde sein . . . in der Wohnung legtest du dich hin und realisiertest dabei

von Neuem

in der Falle bestimmter Gedanken zu sein. Gedanken, vielmehr: Erfahrungserinnerungen, die bei bestimmten Körperhaltungen vermehrt aufkamen. Mit einem Satz sprangst du auf und sagtest, ja schriest: »Sofort raus, aus dem Zustand!«

 

 

 

DER UNTERSCHIED

Für die Täter war es eine Einheitserfahrung, die

gemeinsame Zerstörung.

 

 

Für das Opfer war es der Weg in womöglich lebenslange Zersplitterung.

 

 

+

 

 

(Nicht nur) Seine Biografie zeigte, wie schnell man sich verletzen kann.

 

 

Der Gefährliche, der Mörder, derjenige, der nicht mit sich reden ließ, kam in sich selbst am meisten vor bzw. wie oft?

 

 

Mitgefühl dafür erhalten?

 

 

 

Wenn jemand, den du mochtest oder liebtest, etwas sehr Schlimmes zugestoßen war, entwickelte sich in dir ein unverbrüchliches Mitgefühl. 

 

 

 

Was wäre nun »Ganzheit«

vor diesem Hintergrund?

Volle Einbeziehung von all dem?

Ja.

Nein?

Solange durchgegangen, bis es mehr und mehr verändert vorlag und

.  .  .  schließlich wie? 

 

 

 

AGGREGATZUSTAND DER VERLETZUNG

Ein weiterer Schritt zum Frieden war gewesen:

Dasjenige in Güte einzuhüllen.

Aber es ließ sich

kaum.

 

 

Der Eigenanteil einst war: Jene Orte überhaupt betreten zu haben.

Die Sensibilität dafür hatte offenbar nicht zur Verfügung gestanden, sie von vornherein zu meiden.

 

 

+

 

 

Dieser übergroße Ernst und sein Sog.

 

 

Versuchte, den Aggregatzustand einer solchen Verletzung zu verändern. 

 

 

 

ART DER VERLETZUNG

Erinnerung in früher Jugend daran – nach dem Überfall – sich gut kleiden, innerlich präsent sein zu wollen, und es nicht mehr so recht ging.

 

 

Das bloße So-Sein wurde attackiert.

 

 

Die Wunde war: Das Erwachen von erotischen und sexuellen Gefühlen und die drastischste Verletzung dieser kaum entschlüpften Disposition.

 

 

Es gab offenbar einen Reiz, sich so zu zeigen.

Sich in allem zu erforschen.

 

 

+

 

 

War die zunächst unbewusst vorhandene Herausforderung deines Lebens die Auseinandersetzung mit der eigenen Vernichtung gewesen?

Auf dem Hintergrund der historischen Realien, dessen, was auch die Elterngeneration erlebte, und etwa dem, was in den eigenen Genen vorzufinden war?

Oder war ein solcher »Gedanke« – die zunächst unbewusste Herausforderung der Auseinandersetzung mit der eigenen Vernichtung – bereits die »Kollaboration« der Angelegenheit?