Lichthof 35: Corona

 

 

 

 

 

 

 

 

Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,

daß der Unrast ein Herz schlägt.

Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Es ist Zeit.

-

(Paul Celan, Corona)

 

 

Worum ging es?

Um Entfaltung der Liebe.

 

 

 

 

 

Durch erzwungene Distanz unter Menschen

mehr Respekt voreinander.

 

 

 

In nochmals neuer Weise durch die Stadt gehen. Menschenleere und Stille. Was für ein Vergnügen, sich manches erstmals so ganz in Ruhe ansehen zu dürfen.

 

 

 

Bei geschlossenen Läden. Plötzlich wird auch das einzelne materielle Gut wieder – wertvoll.

 

 

 

Zutiefst schätzen, was man hat.

 

 

 

*

 

 

 

So gewöhnt bereits an Nichtkontakt. An Schließung und Nichtmehrvorhandensein. Auf einmal so überrascht darüber gewesen, dass dir diese Wohnung gehört.

 

 

 

Oder auch, dass der Biomarkt noch geöffnet, dass es auf der Eingangsschwelle bereits warm dort war, draußen so kalt, helle Beleuchtung vorherrschte und das Sortiment vorzufinden war, das du einmal gekannt hattest.

 

 

 

Ja in einem Moment erschienst du dir als jemand, der nach Jahrzehnten Spuren von Ausgestorbenheit gesichtet hatte.

 

 

 

Menschliche Distanz. Entgegenkommende. So offen so weit in die Augen des andern hinein sehen.

 

 

 

Ja, wir sind all die, die wir geliebt haben. Ich trete auf den Balkon hinaus. Eine leichte Bora weht, trocken und kühl. Seitdem die Industrie stillsteht, ist die Luft sauber. Ich frage mich, was für einen Dreck wir bisher eingeatmet haben. In Neapel sieht man den Vesuv wie nie davor. Im Canal Grande schwimmen wieder die Fische. Wir genesen nicht aus Klugheit, sondern aufgrund eines Traumas, aber egal. Werden wir die Lektion verstehen? Das Schlimmste kommt wahrscheinlich nach dem Virus. Wenn wir feststellen, dass alles weitergeht wie davor. –

-

(Paolo Rumiz)

 

 

 

Die öffentliche Anweisung im Traum lautete: »Sie dürfen keine Zunge mehr im Mund führen.«

 

 

 

Untersagung von Menschenansammlungen. Auch kein Gegröle mehr hörbar.

 

 

 

Zu Hause sein. Wie sich der ganze Wirrwarr der Gefühle verlieret und ordnet, wenn man aus den fremden heimkehrt in seine eigenen vier Wände! Nur zu Hause ist der Mensch ganz.

-

(Jean Paul)

 

 

 

Bist nun 'ganz für dich' und

ganz offene Flut.

 

 

 

Wie viel es macht, wenn 'nicht so viel los ist auf der Erde', nicht so viele Verführungen im Raum sind.

 

 

 

Die Pandemie macht deutlich, wie übergeschnappt die Welt an Sinneseindrücken war.

 

 

 

Atemmasken

werden nun mit Gewinnspannen von über 1000 Prozent verkauft.

 

 

 

Pizza bestellen zum Abholen. Skepsis. Wer ihm sage, dass nicht reingehustet werde.

 

 

 

20.4.2020

Öffnung wieder mancher Läden. Sofort unguter Puls in der Stadt.

 

 

 

Du meinst, dass dir tödlich nichts passiert, woher nimmst du diese Sicherheit?

 

 

 

Geruch etwas so Archaisches. Anregendes. Nun soll der andere nicht mehr eingeatmet werden.

 

 

 

Bei geschlossen bleibenden Läden und wachsender Besinnung gerieten die allermeisten Waren in den Schaufenstern zu dem, was sie eigentlich sind: zu völlig überflüssigem Scheiß.

 

 

 

*

 

 

 

Wie wohltuend er war: der Abzug kollektiver Energien.

 

 

 

In der Pandemie wurde noch offensichtlicher: So viele scheinen wenig Mittel zur Selbst-Reflexion zu haben ? Husten einfach, etwa, drauf los.

 

 

 

*

 

 

 

Mit einer Todes-Krankheit spekulieren?

 

 

 

Noch spürbarer wurde: So viele Energien

 

tun überhaupt nicht gut.

 

 

 

Das Ziel nun ist, NACH DEM DURCHGANG, die Angst dahinter nicht mehr anzufassen.

Heißt nicht, die Angst zu missachten.

Auch und gerade Angst war Liebe.

 

 

 

Es bringt ja viel zu wenig ein, sich zu sagen, es habe noch Aufschub. Sondern nur und ganz: ich akzeptiere, schon bevor es eintritt.

 

 

 

Und was du hast, ist

Athem zu hohlen.

-

(Friedrich Hölderlin)