Kreta 13.10.

Nach einem erfüllenden Tag frühmorgens in einer Weise erwacht, dass du gleich wusstest, »jetzt habe ich wieder vorsichtig zu sein«. Eine Übergenauigkeit meldete sich, der du gleich misstrautest; es galt zu warten, um in Ruhe herauszufinden, was sie eigentlich bedeutete. Und nicht etwa, es wäre die allerschlechteste Lösung, den Partner »ermahnend« zu konfrontieren. Kurz: Es hatte damit zu tun, schwer bis gar nicht zu ertragen, Fettspuren an Büchern, Schreibstiften und in deiner Schreib-PC-Welt vorzufinden. Jüdische Reinheitsgebote kamen dir in Sinn, nicht nur jüdische, die historisch einen gewissen Ursprung dafür darstellen. Beziehungsweise: Das Bedürfnis des Menschen, bei allem Chaos in einer gereinigten Welt zu leben. Wenigstens in sich selbst.

Dabei erinnertest du dich noch einmal sehr fühlbar daran, dass und wie du als Jugendlicher meintest, »das kann sie doch nicht sein, die eigentliche, die wirkliche Welt«; vieles von dem, was um dich herum vorging, beziehungsweise alles müsse doch »noch einmal anfangen«, eigentlich beginnen. Womit du dich also grundlegend verschätztest: Alles hatte ja längst oder »immer schon« begonnen und war bereits zu einem Gutteil »die Welt« mit ihren zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten und Setzungen. Und eine weitere verhängnisvolle Schlussfolgerung folgte gleich hinterher: Sich gehen zu lassen, wenn auch im Bewusstsein, dass dies nur für eine bestimmte Zeit sein solle, im Sinne dessen, »die Arbeit niederzulegen«, ja mehr noch, herauszufinden, zu erfahren: wie weit es für dich und im Menschen überhaupt nach unten gehen könne, was da möglich sei, so ließt du dich gehen . . ., jedoch zum Teil unter sozialen Gegebenheiten, die dir absolut nicht guttaten. Du laborierst noch heute stark an manchen Spuren und Entscheidungen, die du leichtfertig trafst, in jener Zeit.

Du erwachtest überdies, neben diesem Hang zur Übergenauigkeit, der also auf gravierende Versäumnisse deutet, mit griechischer Livemusik aus einem Hotel nebenan; wilden, zerfledderten, übermüdeten Ausklängen einer Samstagnacht, um zwanzig nach fünf. Sie zeigten dir an, jedenfalls wurdest du diesen Eindruck auf Weiteres nicht mehr los, was aus dir geworden war hinsichtlich dionysischen Rausches, hinsichtlich: sich einfach verlieren in einer Nacht mit Tanz, Wein und erotischem Verlangen, erotischer Verwirklichung.

Ich habe nur oder immerhin, dachtest du, diese Vereinzelung in einem gewissen Gereinigtsein. Ein Zustand mit einer Orientierung, so dachtest du, die ich so dringend benötige!

 

 

 

 

Weit hinausschwimmen im Meer, tosende Brandung hinter sich lassen, zwischen breiten, trägen, tragenden Wellen mühelos schwimmen, auf das Ufer blicken, das nun so weit entfernt liegt, die Berge, die Hotels, auf das Hotel, in dem man selbst für kurze Zeit. Im Grunde alles vergessen, bei solchem Kontakt zum Meer; wieder am Ufer, in rasender Brandung fast stürzen, taumeln beim Gehen zum Handtuch, als sei da ein Ahnen und Wissen, ich bin von dort.

 

 

 

 

Das Meer vor Georgioúpolis. Noch elektrisierenderes Blau, noch tieferes Türkis, gewalt- und geräuschvoll brausende, weiß an Felsen, die aus dem Meer ragen, aufschlagende Brandung. Manchmal muss der Mensch auch draußen ganz allein sein oder wenigstens mit einem Menschen seiner Wahl. Schon 1 weiterer Mensch im Sichtfeld würde die Erlebensqualität bei dir stark herabsetzen.

Selbst an solchem Platz, ja, Müll. Zu den ersten öffentlichen Zeichen in der Bundesrepublik Deutschland, Müllwegschmeißer zu stigmatisieren, gehörte die Einführung des Wortes »Nunki«. Bereits vorher, ohne es in dem Sinn gelernt zu haben, hattest du doch ein Bewusstsein davon gehabt, dass es etwas Verwerfliches sei, einfach etwas – Plastik dergleichen – in die Natur zu schmeißen. Oder wie verhielt es sich?

Kann das bei jemand anders sein?

Als du den Ort verlässt, vollziehst du es bewusst anhand eines inneren Zeichens; so betratst du auch diesen Ort. Es ist gut, eine Situation zeitlich zu begrenzen und sich selbst Auskunft darüber zu geben, was erlebt wurde und was nicht.